Friedrich Dürrenmatts DAS VERSPRECHEN
Es ist schon ein seltenes Phänomen, dass Theater-Autoren als Prosa-Autoren berühmt werden.
Dürrenmatt wurde außerdem zum Inbegriff des Kriminalautors im deutschsprachigen Raum,
obwohl der bekennende Hobbymaler mit seinen Tragikomödien neben Bert Brecht Akzente des
epischen Theaters setzte. Aber gerade die Mischung seiner Begabung zur Illustration und
spannenden Schreibweise führte zu dem wohl einzigartigsten Filmprojekt der deutschen
Nachkriegszeit.
So schrieb er 1958 das Treatment zum Film Es geschah am hellichten Tag. Regisseur
Ladislao Vajda sorgte dabei aus Gründen der Publikumswirksamkeit für ein Happy End des Films,
was in Anbetracht der Sorgen der Nachkriegszeit durchaus wünschenswert war. Aber der Realist
Dürrenmatt war insbesondere mit diesem Ende höchst unzufrieden und schrieb deshalb sein
„Requiem auf den Kriminalroman“ Das Versprechen, der die Regeln eines Krimis etwas
aushebelte.
Der Film aber machte eindrucksvoll auf das Thema der Kinderschändung aufmerksam und
schildert ein sicher bis heute großes gesellschaftliches Problem, welches leider über das
Medium Internet eine Renaissance erlebt.
Verfilmungen:
Es geschah am helllichten Tag
D/CH/E 1958; R: Ladislao Vajda; D: Heiz Rühmann, Gert Fröbe
Der Film wird von der weniger drastischen Szenerie und seinem tief moralischem Ansatz getragen, der am Anfang insbesondere
hinsichtlich Lynchjustiz abfährt. Filmisch genial ist das Aufeinandertreffen der großen Charaktere Rühmann und Fröbe,
die das gesamte Ensemble des Films tragen und voranbringen – diese Kombination ist in allen folgenden Verfilmungen
nicht wiederzufinden. Die Moral des Films spiegel den Gerechtigkeitswahn des Inspektors wider, der, um den Kinderschänder
zu fassen, auch über Leichen gehen würde. Schließlich benutzt der Inspektor ein Mädchen als „Köder“, um den Schänder zu
fassen. Der damit einhergehende ethische Zwiespalt, der wohl jeden normalen Menschen bewegen müsste, wird in dieser
ersten Verfilmung allerdings weitestgehend außen vor gelassen. So erscheint Rühmanns Figur eiskalt und der Film bleibt
auf einer äußerst sachlichen Ebene. Auch der Hintergrund des Schänders wird trotz Fröbes starken Auftritten nur
angedeutet.
Das Versprechen (OT: La promessa)
I 1979; R: Alberto Negrin; D: Rossano Brazi, Raymond Pellegrin, Macha Méril
Die italienische Fernsehverfilmung (RAI) von Dürrenmatts Versprechen ist im Grunde eine 1:1 Übertragung des
Kriminalromans, der vor allem die übernommene Erzählstruktur nicht gut tut. Die Szenerie ist allerdings in
die 70-er Jahre verlegt, was den Film etwas vom Buch abhebt. Immerhin kann der Inspektor wie in der Buchvorlage den
Fall nicht lösen und wird am Ende wahnsinnig, aber dessen geistiger Verfall findet während der Handlung keine klare Linie.
Trotzdem war diese Realitätsnähe und der Absturz eines respektierten Inspektors wohl eher in Dürrenmatts Sinn, auch wenn ein
fehlendes Happy End beim damaligen Publikum nicht immer gut ankommt – was sicher auch der Grund für diese
Version als Fernsehproduktion war. Die vergebliche Suche und das Zerbrechen des Inspektors an der Unlogik des Falls sollte
erst von Sean Penn wieder aufgenommen werden.
Tod im kalten Morgenlicht (OT: The cold light of day)
NL/D/UK 1995; R: Rudolf van den Berg; D: Richard E. Grant, Heathcote Williams, Lynsey
Baxter
1995 folgte eine außergewöhnliche niederländisch-deutsch-britische Version, die leider
nicht so bekannt ist. Die Handlung wird nach Tschechien verlegt und hält sich sehr frei
an die Vorlage. Dabei wird insbesondere auf den politischen Umbruch der neunziger Jahre
gezielt. Außerdem versucht van den Berg, der Geschichte mehr Dramatik zu verleihen, was
zu mehr Aktionismus und Härte der Story führt. Diese Effekte und insbesondere die
Verfolgungsjagd am Ende des Films erscheinen aber teilweise deplaziert und unnötig.
Erstmalig wird die Beziehung des Inspektors und der Mutter als Liebesgeschichte erzählt,
was zwar entgegen der Vorlage ist, aber immerhin menschlich. Letztlich kommt es dann zum
Höhepunkt – dem Aufeinandertreffen von Mutter und Kinderschänder...
Ein gewichtiger Teil des Films widmet sich der Erstellung des Täter- und Opferprofils.
Dieser eindrucksvolle und gleichzeitig erschütternde Handlungsstrang hebt sich ebenfalls
deutlich von den anderen Inszenierungen ab und versucht eine Aufarbeitung aus psychischer
Sicht. Dies führt allerdings dazu, dass die Geschichte vom großartigen Psychiater mimenden
Williams getragen wird und Grants Inspektor eher blass wirkt.
Es geschah am hellichten Tag
D 1996; R: Nico Hofmann; D: Joachim Król, Barbara Rudnik, Axel Milberg
Die 96er Version ist die zweite Fernsehverfilmung (SAT.1), die sich aber durchaus sehen
lassen und nicht einfach nur als Remake bezeichnet werden kann. Mit Król steht der
Inspektor wieder im Mittelpunkt der Geschichte. Er verleiht ihm dabei in seinen
Handlungen mehr Menschlichkeit, die man bei den anderen Inspektoren eher suchen musste.
Der Inspektor ist kein knallharter Analyst, eher ein kleiner Beamter, der sich mit den
Widrigkeiten seiner Polizeidirektion abfinden muss. Außerdem zeichnet er sich durch mehr
Verantwortung bei der bedenklichen Ausnutzung der Annemarie als „Lockvogel“ aus, auch
wenn er in seiner Ermittlung ebenso konsequent bleibt und die mögliche Verhinderung
weiterer Morde als wichtiger erkennt. Die Handlung wird in die Gegenwart und von der
Schweiz in ein bayerisches Dorf verlegt. Das hiesige dramatische Novum ist der zu unrecht
verdächtigte Hausierer, der nicht wie im Buch oder in den anderen Versionen Selbstmord
begeht, sondern von der Bevölkerung gelyncht und letztlich vom Vater des ermordeten Kindes
erschossen wird. Die Lynchjustiz wurde auch in der Urversion thematisiert und wird
ebenfalls vor den Bürgern mit einem Monolog des Inspektors über die Werte unseres Rechtesystems
verhindert.
US 2000; R: Sean Penn; D: Jack Nicholson, Robin Wright Penn, Benicio Del Toro, Mickey
Rourke
Penn hatte nun eine ganze Menge Ausgangsmaterial, das er sich auch zu nutze machte und
Dürrenmatts Anliegen wohl am Vollendetsten inszenierte. Er führte es soweit,
dass er den Kindsmörder sogar nie auftreten ließ. Natürlich verlegte er die Szenerie in
den amerikanischen Norden und brachte zusätzliche dramatische Elemente in die Story. So
wird z.B. die Vergangenheit der gepeinigten Mutter aufgearbeitet. Diesmal ist es nicht
nur Nicholsons charismatischer Charakter, der die Geschichte voranbringt, sondern das
gesamte Ensemble. Dieses sorgt für eine komplexe und gleichzeitig schlüssige Narration
mit starken Akteuren – ob Rourke als Vater oder Del Toro als verdächtigter Indianer.
Nicholson spielt intensiv den Ermittlungswahnsinn des Inspektors und dessen
Verschlechterung seines geistigen Zustandes.
Der Inspektor versucht mit aller Macht durch logische Ermittlung den Mörder zu fassen, aber menschliche Handlungen sind nun mal
nicht immer logisch, sondern oft durch eine Verkettung von Zufällen bedingt. Penn
konzentriert sich in dieser sehr depressiven Version auf den psychischen Verfall des
Inspektors, der sich mehr und mehr in höherer Nikotinsucht, Alkoholismus und zunehmenden
Artikulationsproblemen zeigt.
Carsten Friedrich
11.01.2008
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